Review: 1x09 „A Spy in the House of Love“
Okay, irgendwann verliert man seine Glaubwürdigkeit, aber das ist wohl der Preis den man zahlen muss. Also dennoch: So großartig ich jede verdammte bisherige Folge fand, so viel ich auch Spaß hatte an allen Themen, Subtexten und Ideen, so toll, schön, verstörend und wahnsinnig diese Serie auch bisher war, nichts kommt an die Sensationalität heran, die diese Folge war. Es gibt keine Grenze nach oben, wir steigen höher, fallen tiefer und weinen härter als je zuvor, und all das, weil irgendwelche Neuling-Schreiblinge meinen, in einem Joss Whedon Universum sich austoben zu können. Diese Serie wird unser Untergang sein. Hiernach kommt nichts mehr.
Es wird mir nun auch immer klarer, was die Leute, die wissen wohin das alles geht, meinten, als sie sagten, dass die zweite Staffelhälfte so viel Plot, Twists und Wahnsinn auf uns wirft, wie mehrere Jahre Buffy. Allein, was in dieser Folge passiert, erscheint mir so unmöglich in 50 Minuten zu erzählen, dass ich mich wundere, dass das nicht ein Vierteiler ist. Aber Andrew Chambliss kann sowas in 50 Minuten packen. Er kann binnen einer Folge romantische Komödie, romantische Tragödie und Agenten-Thriller als Genres durchdeklinieren, und dabei nicht bei einer postmodernen Fingerübung verbleiben, sondern nebenbei auch noch die heftigsten Charakter-Momente, Plot-Twists und Overall-Arc-Entwicklungen bisher einpacken. Ehrlich, ich habe von dieser Serie viel erwartet, vor allem, weil ich mich über ein Jahr lang mit den Prämissen, ihren Subtexten und Joss‘ bisherigem Zugang zu ihnen beschäftigt habe, aber ich bin ehrlich an dem Moment angekommen, wo ich einfach nichts davon vorhersehen konnte, was sie uns hier an den Kopf werfen. Und das alles formal mit derartig fantastischem Storytelling bewerkstelligt, dass ich nur den Kopf schütteln kann, um das alles abzuwerfen. Bevor es mich erdrückt.
Nach zwei Folgen, die die interne und externe Ordnung des Dollhouse beleuchtet haben, nachdem unser Gefühl für die Verhältnisse und die Beziehungen also relativiert wurde, wird es nun Zeit an die „Man on the Street“-Epik anzuschließen.
Auf zur SPOILER-Section in the Blog of Love.
Vertrauen
Oder an die “The Target”-Epik. Hat uns die zweite Folge Boyds Bindung an Echo für alle Zeit verkauft, hat sie perfekt etabliert, dass das Trust-Script bei den beiden anders funktioniert als üblich, und dass Boyds Instinkt Echo zu beschützen jenseits dieses Scripts abläuft, so werden wir hier in der Eröffnungsszene (auf die wir in der Schlussszene natürlich zurückkommen) auf die Frage des Vertrauens geführt. Vertrauen, das zu Schmerzen führt. Dass Actives, die ultimativ Untergebenen im Dollhouse, draußen niemals im S&M-Kontext untergeben sind, ist nur eine nette Facette des Dollhouse: Die Sicherheit der Actives lässt sich nur bewerkstelligen, wenn sie selbst die Peitsche in der Hand haben. Klar sind Boyd und Dom als große Sicherheitsfiguren auch dazu da, aber es bleibt ein externes Rest-Risiko offenbar, eine Lücke, die Boyd und Dom nicht schließen können, weswegen es diese Policy geben muss.
Vertrauen ist als Thema natürlich weit jenseits der Boyd-Echo-Bindung relevant, ist es doch das Vertrauen, dass Adelle in Dom hat, das zu Schmerzen führt (seelisch am Bett, und körperlich mit der Schusswunde), und ist es doch das Vertrauen, dass Paul in die Messages hat, das ihm den Schmerz zufügt, mit einem Active zu schlafen. Es ist das Vertrauen, die implizite Gesellschaftsordnung, dass Identitäten und Beziehungen das sind, was sie vorgeben zu sein, das das Funktionieren der Ordnung erst ermöglicht. Hierarchien und Loyalitäten basieren auf dem Vertrauen, dass sich jeder an die Verträge hält und sich über die Konsequenzen etwaiger Verletzungen bewusst ist. Nachdem wir also in „Echoes“ und „Needs“ gesehen haben, dass die Ordnung gar nicht so stabil ist, wie alle und Adell meinen, ist es nur schlüssig, jetzt zu zeigen, wie denn die hidden loyalties eigentlich wirklich verlaufen, und welchen Schmerz diese Brüche intern auslösen. Das Dollhouse ist am Abgrund, da es korrumpiert wurde. Es gibt einen Spion.
Boyd und Dom und Paul
Dabei finde ich es am faszinierendsten, dass gerade Boyd, unser aller liebster Retter und Held, so sehr mit dem tatsächlichen Spion Dom in Verbindung gebracht wird. Es ist seine Bindung zu Echo, die die Bindung zwischen Dom und Adelle parallelisiert, und es ist er, den Topher für den Spion hält. Boyd übernimmt auch Doms Position am Ende. Dass die beiden Herren die zwei Seiten einer Medaille sind, zeigt sich an Echo: Während Boyd gelernt hat, dass Vertrauen ein bilaterales Gefühl ist, sieht Dom Vertrauen nur als Einbahnstraße. Während Dom Echo in „True Believer“ umbringen wollte, weil sie eine Gefahr für die Sicherheit des Dollhouses war, hat Boyd sie aus den Flammen gerettet. Außerdem ist Boyd auch in einem anderen Sinne einer Weiterentwicklung von Dom, da er ein Ex-Cop ist (wie Paul), während Dom noch immer für die Regierung arbeitet. Netter Nebengedanke: Paul symbolisiert dabei also den Übergang von Dom zu Boyd – er ist die Geschichte dieser Entwicklung. Während Paul-als-Cop und Dom-als-Cop jeweils Echo eingeordnet und bewertet haben (als Damsel in Distress hier, als Sicherheitsbedrohung da), ist Trans-Cop Boyd wie Trans-Cop Paul vom System vereinnahmt worden und mitten im ethisch zwiespältigen Treiben: Boyd sieht sich als Killer und Pimp mit philanthropem Beigeschmack, aber Komplizenschaft (schön, wie er stillschweigend Doms Löschung beiwohnt), Paul wird auch zum Komplizen, wenn er Mellies Message aufsitzt und das tut, was er immer bekämpft hat: Einen Active zu küssen, Teil der Klientel zu werden. Als ob es nicht schon so kompliziert genug wäre.
Paul
Dabei ist der Twist, dass Paul von Mellie die Message bekommt, und sie danach küssen muss, um die Charade (das Vertrauen, dass er immer noch der ist, für den Mellie ihn hält) schlicht episch. Sein Gesichtsausdruck bei diesem Kuss, der Ekel der ihn befällt, lässt sich kaum in Worte fassen, und es hilft dabei gar nicht, dass wir Paul kurz vorher als stammelnden Verschwörungstheoretiker vor seiner großen Conspiracy Wall gesehen haben. Was das Dollhouse bzw. der Spion mit ihm vorhat ist immer noch nicht klar: Wie Mellies Message mit der Wand zusammengeschnitten wurde hatte schon starken Keyser Soze Beigeschmack, und die Timeline der Folge beantwortet nicht eindeutig eine sehr zentrale Frage: Wenn alle vier Imprints der Folge entstanden sind, nachdem Topher den Chip aufgrund der Ereignisse in „Needs“ gefunden hat, dann kann der Chip kaum was mit den Messages zu tun haben. Selbst wenn der Chip von Dom ist, ist diese Mellie-Message höchst fragwürdig als seine anzusehen. Wir wissen, dass der Insider Paul angeblich braucht um herauszufinden, was der Zweck des Dollhouses ist. Selbst angenommen, Paul hätte mehr Chancen darüber was herauszufinden als der fucking Head of Security der tatsächlich innen arbeitet, erscheint es mir völlig unlogisch, dass er diesen Weg der Kommunikation wählen würde. Nicht nur im Sinne von, dass es einfachere Wege gäbe, derartige Messages zu überbringen, sondern auch, dass genau das passieren könnte, was passiert ist: Dass es jemand herausfindet. So riskant und dumm schätze ich Dom nicht ein.
Topher und Adelle
Okay, dann auf zu meiner verrückten Verschwörungstheorie. Das ganze Spiel wurde von Adelle und Topher inszeniert. Wenn wir uns an „Man on the Street“ zurückerinnern, so war es Topher der im Gegensatz zu Boyd etwas von Echos Imprint wusste, und das auf Anordnung von Adelle. Meine Theorie ist folgende: Seit „True Believer“, der allerersten Handlung, die Dom hinter Adelles Rücken vollzog, vermutet Adelle, dass er unsauber ist. Ihr kleines Spielchen mit Paul (ihn seinen Job loswerden zu lassen, und ihn in den psychischen Abgrund zu stürzen mit der Echo-Message) musste also unter Verschluss ablaufen, da sie nicht sicher sein konnte, wie ein potentieller Regierungsspion darauf reagieren würde. In „Echoes“ gab es diese merkwürdige Szene am Ende, wo Adelle und Dom peinlich berührt waren, obwohl sie sich die ganze Folge lang nicht gesehen haben. Dies war meiner Auffassung nach, weil Adelle Überwachungsaufnahmen von Rossum gesehen hat, wo Dom Echo gegenüber zugibt, dass er sie umbringen wollte. Ihre Vermutung, dass er dem Dollhouse mehr schadet als nutzt verdichtet sich. In „Needs“ hält er seine Pets-Rede und verdichtet noch mehr. Die Ereignisse in „Needs“ bieten ihr und Topher nun die perfekte Möglichkeit, Dom ans Tageslicht zu bringen. Man hat eine perfekte Entschuldigung dafür, warum man einen Chip „entdeckt“ hat (den niemand dort hinterlassen hat), und der wichtigste Aspekt der Charade ist, dass Adelle weggeht und Dom in charge lässt. Nur so kann er einen Fehler begehen und im Versuch, die Schuld wem anderen zuzuschreiben, seine Herkunft offenbaren. Und tatsächlich, ihr leeres Büro war der Ort des alles auflösenden Telefonanrufs. Und tatsächlich, nimmt sie keine Anrufe vom Dollhouse entgegen, weil sie weiß was los ist, und weil sie weiß, dass sie nicht intervenieren darf, weil Dom sonst keinen Fehler begehen wird. Topher sagt dabei lustigerweise niemals, dass der Chip NSA ist, er spekuliert, was der Chip machen könnte, hat aber keine Ahnung. Erst Dom schickt Sierra in die NSA um platzierte Beweise zu finden, und offenbart sich dadurch. Topher und Adelle: Well played.
Dies erklärt auch, warum Mellie Paul eine weitere Message bringen kann. Dies war einfach yet another Topher/Adelle-initiierter Imprint, der einfach nichts mit Dom oder dem Chip zu tun hatte. Nicht ganz erklären kann ich mir Tophers Gespräch mit Boyd über den Chip. Wollte sie auch bei ihm kurz nachfühlen? Bestand auch über seine Loyalität Zweifel? Immerhin hatten wir mehre Szenen bisher, die auch seine Loyalität in Frage gestellt haben (In „Ghost“, als er Adelle anfleht Davina zu retten, in „Man on the Street“, als er hinter ihrem Rücken Hearn fasste, in „Needs“ als er ein bisschen zu besorgt um Echo war). Boyd stellt das Wohl der Actives über das des Dollhouse, er ist als Spiegelbild von Dom eine andere Art von Gefahr. Vielleicht wollten Topher und Adelle das kurz mit dem Gespräch ausreizen, sehen wie weit er geht. Aber ganz hängt die Theorie an der Stelle nicht zusammen. Auch inwieweit Topher involviert war ist noch nicht ganz klar, da er auch genuin überrascht sein könnte über den Chip. Einzig seine Komplizenschaft beim Echo-Imprint in „Man on the Street“ suggeriert, dass er im Boot war. Auch unklar ist, warum Adelle (oder die NSA, for that matter) Paul sagen würde „Our person inside has been captured. This is the last time you will hear from us through a doll.“ noch bevor Dom aufgeflogen ist. Da Ivy den November-Imprint vollzogen hat, und sie auch der Sündenbock war, ist es natürlich auch möglich, dass Ivy und Dom beide NSA sind. Es würde Sinn machen, einen Tech-Menschen einzuschleusen, und wenn Dom Ivy „enttarnt“ und „bestraft“ wäre die Charade von NSA-Seite ja auch perfekt. Auch machen die tatsächlichen Messages (von wegen „You can’t tell Mellie about this“) mehr Sinn, wenn sie von der NSA kommen, als von irgendeinem absurden Adelle-Plan. Und Dr. Saunders und Boyd sind auch noch immer voll im Rennen. So here I am, ahnungslos und Hals-über-Kopf in Spekulationen verstrickt. Ich liebe diese Show.
Adelle
Ist aber auch alles nicht so wichtig, denn schließlich hatte die Folge ja neben diesem Spionage-Plot ja auch den für mich seit einem Jahr herbeigesehnten Reveal, dass Adelle Miss Lonelyhearts ist, und selbst mit Actives schläft. Auch eine Anbindung an „Man on the Street“: Hearn fragt sie, ob es denn besser ist, Actives zu vergewaltigen, wenn sie selbst überzeugt davon sind verliebt zu sein. Offenbar schon. Adelle begeht im Endeffekt das Verbrechen, für das sie Hearn umgebracht hat, und ihr kleiner Trip mit Roger zeigt uns auf wunderschöne Art und Weise wie dunkel und beschädigt ihre Psyche ist. Eine Liebesbeziehung als Fechtkampf, und das Bedürfnis, selbst in intimen Momenten Menschen auf Distanz zu halten. Adelle verliert ihre Fassung, sie verliert ihre Liebe und sie will natürlich nichts davon zugeben. Ihr Vertrauen wurde missbraucht. Sie nimmt diesen Schmerz auf, und bleibt aber bei der stoischen Ader, keine Schwäche zu zeigen. Eine Schusswunde? Was für ein Klacks. Sie steht da und sieht zu wie Dom seine (für sie gerechte) Strafe erhält. Was sie aber tatsächlich etwas aus der Fassung bringt, war Echos Engagement. Haben wir in „Man on the Street“ explizit gesehen, dass sie fasziniert ist von Echos Weiterentwicklung, so wird das hier nochmal reiteriert.
Echo
Dabei ist nach all dem Schütteln, das die Dollhouse-Ordnung in den letzten Folgen erlebt hat, umso erstaunlicher, dass Echos Agieren ein kollaboratives ist. Sie begibt sich freiwillig in den Stuhl und rettet das Dollhouse. Das ist nicht das, was wir uns in unserer großen Revolutions-Fantasie ausgemalt haben. Dies kann natürlich an einem grundlegenden Missverständnis liegen, nämlich dass Echo natürlich nicht „kapiert“, wem sie hier bei was hilft, dass sie mehr oder weniger Tophers Leid als einfach das nimmt, was es ist: Leid, dem geholfen werden kann. The Big Picture, dass es die durch sie wiederhergestellte Stabilität im Dollhouse ist, die sie unterwirft, sieht sie nicht. Echos Begehren zu helfen besteht also auch nach Dr. Saunders‘ Experiment in „Needs“, aber Adelle versteht natürlich, dass dieses Bedürfnis, so lange Echo das Big Picture nicht kennt, keine Gefahr, sondern ein Bonus ist.
Ich frage mich hierbei jedoch: Was hat Echo genau gewollt? Ihre Hilfe hat sie angeboten, weil Topher litt, ja, aber Topher litt, weil (und das hat Echo genau gesehen) Dom ihm wehtat, und Adelle kapiert sofort, dass Echos Selbst-Schutz die Grundlage für den Dollhouse-Schutz war. Komplizenschaft ist als Thema der Serie und der Folge natürlich schon immer sehr ambig dargestellt. Boyd, der coole, ist Komplize. Paul, der coole, ist nun quasi Komplize. Auch Dr. Saunders, die coole, ist Komplizin. Und nun auch Echo. Und das so kurz nachdem unsere Fantasien von Ausbruch und Freiheit angestachelt wurden. Damn, ist diese Serie nasty.
Spekulationen und Randbemerkungen
Es wird mir nun auch immer klarer, was die Leute, die wissen wohin das alles geht, meinten, als sie sagten, dass die zweite Staffelhälfte so viel Plot, Twists und Wahnsinn auf uns wirft, wie mehrere Jahre Buffy. Allein, was in dieser Folge passiert, erscheint mir so unmöglich in 50 Minuten zu erzählen, dass ich mich wundere, dass das nicht ein Vierteiler ist. Aber Andrew Chambliss kann sowas in 50 Minuten packen. Er kann binnen einer Folge romantische Komödie, romantische Tragödie und Agenten-Thriller als Genres durchdeklinieren, und dabei nicht bei einer postmodernen Fingerübung verbleiben, sondern nebenbei auch noch die heftigsten Charakter-Momente, Plot-Twists und Overall-Arc-Entwicklungen bisher einpacken. Ehrlich, ich habe von dieser Serie viel erwartet, vor allem, weil ich mich über ein Jahr lang mit den Prämissen, ihren Subtexten und Joss‘ bisherigem Zugang zu ihnen beschäftigt habe, aber ich bin ehrlich an dem Moment angekommen, wo ich einfach nichts davon vorhersehen konnte, was sie uns hier an den Kopf werfen. Und das alles formal mit derartig fantastischem Storytelling bewerkstelligt, dass ich nur den Kopf schütteln kann, um das alles abzuwerfen. Bevor es mich erdrückt.
Nach zwei Folgen, die die interne und externe Ordnung des Dollhouse beleuchtet haben, nachdem unser Gefühl für die Verhältnisse und die Beziehungen also relativiert wurde, wird es nun Zeit an die „Man on the Street“-Epik anzuschließen.
Auf zur SPOILER-Section in the Blog of Love.
Vertrauen
Oder an die “The Target”-Epik. Hat uns die zweite Folge Boyds Bindung an Echo für alle Zeit verkauft, hat sie perfekt etabliert, dass das Trust-Script bei den beiden anders funktioniert als üblich, und dass Boyds Instinkt Echo zu beschützen jenseits dieses Scripts abläuft, so werden wir hier in der Eröffnungsszene (auf die wir in der Schlussszene natürlich zurückkommen) auf die Frage des Vertrauens geführt. Vertrauen, das zu Schmerzen führt. Dass Actives, die ultimativ Untergebenen im Dollhouse, draußen niemals im S&M-Kontext untergeben sind, ist nur eine nette Facette des Dollhouse: Die Sicherheit der Actives lässt sich nur bewerkstelligen, wenn sie selbst die Peitsche in der Hand haben. Klar sind Boyd und Dom als große Sicherheitsfiguren auch dazu da, aber es bleibt ein externes Rest-Risiko offenbar, eine Lücke, die Boyd und Dom nicht schließen können, weswegen es diese Policy geben muss.
Vertrauen ist als Thema natürlich weit jenseits der Boyd-Echo-Bindung relevant, ist es doch das Vertrauen, dass Adelle in Dom hat, das zu Schmerzen führt (seelisch am Bett, und körperlich mit der Schusswunde), und ist es doch das Vertrauen, dass Paul in die Messages hat, das ihm den Schmerz zufügt, mit einem Active zu schlafen. Es ist das Vertrauen, die implizite Gesellschaftsordnung, dass Identitäten und Beziehungen das sind, was sie vorgeben zu sein, das das Funktionieren der Ordnung erst ermöglicht. Hierarchien und Loyalitäten basieren auf dem Vertrauen, dass sich jeder an die Verträge hält und sich über die Konsequenzen etwaiger Verletzungen bewusst ist. Nachdem wir also in „Echoes“ und „Needs“ gesehen haben, dass die Ordnung gar nicht so stabil ist, wie alle und Adell meinen, ist es nur schlüssig, jetzt zu zeigen, wie denn die hidden loyalties eigentlich wirklich verlaufen, und welchen Schmerz diese Brüche intern auslösen. Das Dollhouse ist am Abgrund, da es korrumpiert wurde. Es gibt einen Spion.
Boyd und Dom und Paul
Dabei finde ich es am faszinierendsten, dass gerade Boyd, unser aller liebster Retter und Held, so sehr mit dem tatsächlichen Spion Dom in Verbindung gebracht wird. Es ist seine Bindung zu Echo, die die Bindung zwischen Dom und Adelle parallelisiert, und es ist er, den Topher für den Spion hält. Boyd übernimmt auch Doms Position am Ende. Dass die beiden Herren die zwei Seiten einer Medaille sind, zeigt sich an Echo: Während Boyd gelernt hat, dass Vertrauen ein bilaterales Gefühl ist, sieht Dom Vertrauen nur als Einbahnstraße. Während Dom Echo in „True Believer“ umbringen wollte, weil sie eine Gefahr für die Sicherheit des Dollhouses war, hat Boyd sie aus den Flammen gerettet. Außerdem ist Boyd auch in einem anderen Sinne einer Weiterentwicklung von Dom, da er ein Ex-Cop ist (wie Paul), während Dom noch immer für die Regierung arbeitet. Netter Nebengedanke: Paul symbolisiert dabei also den Übergang von Dom zu Boyd – er ist die Geschichte dieser Entwicklung. Während Paul-als-Cop und Dom-als-Cop jeweils Echo eingeordnet und bewertet haben (als Damsel in Distress hier, als Sicherheitsbedrohung da), ist Trans-Cop Boyd wie Trans-Cop Paul vom System vereinnahmt worden und mitten im ethisch zwiespältigen Treiben: Boyd sieht sich als Killer und Pimp mit philanthropem Beigeschmack, aber Komplizenschaft (schön, wie er stillschweigend Doms Löschung beiwohnt), Paul wird auch zum Komplizen, wenn er Mellies Message aufsitzt und das tut, was er immer bekämpft hat: Einen Active zu küssen, Teil der Klientel zu werden. Als ob es nicht schon so kompliziert genug wäre.
Paul
Dabei ist der Twist, dass Paul von Mellie die Message bekommt, und sie danach küssen muss, um die Charade (das Vertrauen, dass er immer noch der ist, für den Mellie ihn hält) schlicht episch. Sein Gesichtsausdruck bei diesem Kuss, der Ekel der ihn befällt, lässt sich kaum in Worte fassen, und es hilft dabei gar nicht, dass wir Paul kurz vorher als stammelnden Verschwörungstheoretiker vor seiner großen Conspiracy Wall gesehen haben. Was das Dollhouse bzw. der Spion mit ihm vorhat ist immer noch nicht klar: Wie Mellies Message mit der Wand zusammengeschnitten wurde hatte schon starken Keyser Soze Beigeschmack, und die Timeline der Folge beantwortet nicht eindeutig eine sehr zentrale Frage: Wenn alle vier Imprints der Folge entstanden sind, nachdem Topher den Chip aufgrund der Ereignisse in „Needs“ gefunden hat, dann kann der Chip kaum was mit den Messages zu tun haben. Selbst wenn der Chip von Dom ist, ist diese Mellie-Message höchst fragwürdig als seine anzusehen. Wir wissen, dass der Insider Paul angeblich braucht um herauszufinden, was der Zweck des Dollhouses ist. Selbst angenommen, Paul hätte mehr Chancen darüber was herauszufinden als der fucking Head of Security der tatsächlich innen arbeitet, erscheint es mir völlig unlogisch, dass er diesen Weg der Kommunikation wählen würde. Nicht nur im Sinne von, dass es einfachere Wege gäbe, derartige Messages zu überbringen, sondern auch, dass genau das passieren könnte, was passiert ist: Dass es jemand herausfindet. So riskant und dumm schätze ich Dom nicht ein.
Topher und Adelle
Okay, dann auf zu meiner verrückten Verschwörungstheorie. Das ganze Spiel wurde von Adelle und Topher inszeniert. Wenn wir uns an „Man on the Street“ zurückerinnern, so war es Topher der im Gegensatz zu Boyd etwas von Echos Imprint wusste, und das auf Anordnung von Adelle. Meine Theorie ist folgende: Seit „True Believer“, der allerersten Handlung, die Dom hinter Adelles Rücken vollzog, vermutet Adelle, dass er unsauber ist. Ihr kleines Spielchen mit Paul (ihn seinen Job loswerden zu lassen, und ihn in den psychischen Abgrund zu stürzen mit der Echo-Message) musste also unter Verschluss ablaufen, da sie nicht sicher sein konnte, wie ein potentieller Regierungsspion darauf reagieren würde. In „Echoes“ gab es diese merkwürdige Szene am Ende, wo Adelle und Dom peinlich berührt waren, obwohl sie sich die ganze Folge lang nicht gesehen haben. Dies war meiner Auffassung nach, weil Adelle Überwachungsaufnahmen von Rossum gesehen hat, wo Dom Echo gegenüber zugibt, dass er sie umbringen wollte. Ihre Vermutung, dass er dem Dollhouse mehr schadet als nutzt verdichtet sich. In „Needs“ hält er seine Pets-Rede und verdichtet noch mehr. Die Ereignisse in „Needs“ bieten ihr und Topher nun die perfekte Möglichkeit, Dom ans Tageslicht zu bringen. Man hat eine perfekte Entschuldigung dafür, warum man einen Chip „entdeckt“ hat (den niemand dort hinterlassen hat), und der wichtigste Aspekt der Charade ist, dass Adelle weggeht und Dom in charge lässt. Nur so kann er einen Fehler begehen und im Versuch, die Schuld wem anderen zuzuschreiben, seine Herkunft offenbaren. Und tatsächlich, ihr leeres Büro war der Ort des alles auflösenden Telefonanrufs. Und tatsächlich, nimmt sie keine Anrufe vom Dollhouse entgegen, weil sie weiß was los ist, und weil sie weiß, dass sie nicht intervenieren darf, weil Dom sonst keinen Fehler begehen wird. Topher sagt dabei lustigerweise niemals, dass der Chip NSA ist, er spekuliert, was der Chip machen könnte, hat aber keine Ahnung. Erst Dom schickt Sierra in die NSA um platzierte Beweise zu finden, und offenbart sich dadurch. Topher und Adelle: Well played.
Dies erklärt auch, warum Mellie Paul eine weitere Message bringen kann. Dies war einfach yet another Topher/Adelle-initiierter Imprint, der einfach nichts mit Dom oder dem Chip zu tun hatte. Nicht ganz erklären kann ich mir Tophers Gespräch mit Boyd über den Chip. Wollte sie auch bei ihm kurz nachfühlen? Bestand auch über seine Loyalität Zweifel? Immerhin hatten wir mehre Szenen bisher, die auch seine Loyalität in Frage gestellt haben (In „Ghost“, als er Adelle anfleht Davina zu retten, in „Man on the Street“, als er hinter ihrem Rücken Hearn fasste, in „Needs“ als er ein bisschen zu besorgt um Echo war). Boyd stellt das Wohl der Actives über das des Dollhouse, er ist als Spiegelbild von Dom eine andere Art von Gefahr. Vielleicht wollten Topher und Adelle das kurz mit dem Gespräch ausreizen, sehen wie weit er geht. Aber ganz hängt die Theorie an der Stelle nicht zusammen. Auch inwieweit Topher involviert war ist noch nicht ganz klar, da er auch genuin überrascht sein könnte über den Chip. Einzig seine Komplizenschaft beim Echo-Imprint in „Man on the Street“ suggeriert, dass er im Boot war. Auch unklar ist, warum Adelle (oder die NSA, for that matter) Paul sagen würde „Our person inside has been captured. This is the last time you will hear from us through a doll.“ noch bevor Dom aufgeflogen ist. Da Ivy den November-Imprint vollzogen hat, und sie auch der Sündenbock war, ist es natürlich auch möglich, dass Ivy und Dom beide NSA sind. Es würde Sinn machen, einen Tech-Menschen einzuschleusen, und wenn Dom Ivy „enttarnt“ und „bestraft“ wäre die Charade von NSA-Seite ja auch perfekt. Auch machen die tatsächlichen Messages (von wegen „You can’t tell Mellie about this“) mehr Sinn, wenn sie von der NSA kommen, als von irgendeinem absurden Adelle-Plan. Und Dr. Saunders und Boyd sind auch noch immer voll im Rennen. So here I am, ahnungslos und Hals-über-Kopf in Spekulationen verstrickt. Ich liebe diese Show.
Adelle
Ist aber auch alles nicht so wichtig, denn schließlich hatte die Folge ja neben diesem Spionage-Plot ja auch den für mich seit einem Jahr herbeigesehnten Reveal, dass Adelle Miss Lonelyhearts ist, und selbst mit Actives schläft. Auch eine Anbindung an „Man on the Street“: Hearn fragt sie, ob es denn besser ist, Actives zu vergewaltigen, wenn sie selbst überzeugt davon sind verliebt zu sein. Offenbar schon. Adelle begeht im Endeffekt das Verbrechen, für das sie Hearn umgebracht hat, und ihr kleiner Trip mit Roger zeigt uns auf wunderschöne Art und Weise wie dunkel und beschädigt ihre Psyche ist. Eine Liebesbeziehung als Fechtkampf, und das Bedürfnis, selbst in intimen Momenten Menschen auf Distanz zu halten. Adelle verliert ihre Fassung, sie verliert ihre Liebe und sie will natürlich nichts davon zugeben. Ihr Vertrauen wurde missbraucht. Sie nimmt diesen Schmerz auf, und bleibt aber bei der stoischen Ader, keine Schwäche zu zeigen. Eine Schusswunde? Was für ein Klacks. Sie steht da und sieht zu wie Dom seine (für sie gerechte) Strafe erhält. Was sie aber tatsächlich etwas aus der Fassung bringt, war Echos Engagement. Haben wir in „Man on the Street“ explizit gesehen, dass sie fasziniert ist von Echos Weiterentwicklung, so wird das hier nochmal reiteriert.
Echo
Dabei ist nach all dem Schütteln, das die Dollhouse-Ordnung in den letzten Folgen erlebt hat, umso erstaunlicher, dass Echos Agieren ein kollaboratives ist. Sie begibt sich freiwillig in den Stuhl und rettet das Dollhouse. Das ist nicht das, was wir uns in unserer großen Revolutions-Fantasie ausgemalt haben. Dies kann natürlich an einem grundlegenden Missverständnis liegen, nämlich dass Echo natürlich nicht „kapiert“, wem sie hier bei was hilft, dass sie mehr oder weniger Tophers Leid als einfach das nimmt, was es ist: Leid, dem geholfen werden kann. The Big Picture, dass es die durch sie wiederhergestellte Stabilität im Dollhouse ist, die sie unterwirft, sieht sie nicht. Echos Begehren zu helfen besteht also auch nach Dr. Saunders‘ Experiment in „Needs“, aber Adelle versteht natürlich, dass dieses Bedürfnis, so lange Echo das Big Picture nicht kennt, keine Gefahr, sondern ein Bonus ist.
Ich frage mich hierbei jedoch: Was hat Echo genau gewollt? Ihre Hilfe hat sie angeboten, weil Topher litt, ja, aber Topher litt, weil (und das hat Echo genau gesehen) Dom ihm wehtat, und Adelle kapiert sofort, dass Echos Selbst-Schutz die Grundlage für den Dollhouse-Schutz war. Komplizenschaft ist als Thema der Serie und der Folge natürlich schon immer sehr ambig dargestellt. Boyd, der coole, ist Komplize. Paul, der coole, ist nun quasi Komplize. Auch Dr. Saunders, die coole, ist Komplizin. Und nun auch Echo. Und das so kurz nachdem unsere Fantasien von Ausbruch und Freiheit angestachelt wurden. Damn, ist diese Serie nasty.
Spekulationen und Randbemerkungen
- Dr. Saunders, hach, verlässt nie das Dollhouse. Und sie war, hach, nicht in „Echoes“. Aber warum sucht sie mittels meetcute.biz Dates, wenn sie das Haus nie verlässt?
- Die Musik, großartig. Wie Alias/24-spy thriller mit dem James Bond Übergang zur romantischen Komödie und dann zur Tragödie wird, herrlich.
- Der Ozean während der gesamten Balkon-Szene ist ein gefrorenes Gemälde. Dies ist so schlecht, dass ich es fast nur als Genre-Kommentar deuten kann.
- Die Interviews, ganz in Fireflys „Bushwacked“-Style, waren großartig. Wie man da unterwegs nochmal schnell die moralischen Positionen aufspannt in einer so schon vollgepackten Folge ist atemberaubend.
wiesengrund - 17. April, 11:45
messages
Mellies msg kann eben nur bedeuten, dass der absender dominics entlarvung antizipieren konnte. das klingt doch sehr nach mr remote wipe, dass sich alpha ins dollhouse hacken kann, hat er damit ja schon bewiesen. vielleicht benutzt er sogar den nsa-chip für seine hidden msges, weshalb keine weiteren mehr folgen können. alpha versorgt paul seit der ersten folge mit hinweisen und dirigiert scheinbar ins puppentheater hinein, antizipiert und lässt manchmal auch andere die fäden ziehen. investigate the purpose - das macht vor allem für alpha sinn.
und: wie hätten adelle und topher dominic entlarven wollen, ohne echos hilfe? und wozu echo gerade fähig ist, darüber weiß alpha ja offenbar mehr (the target) als adelle/topher.
adelles und dominics peinliche begegnung in echoes würde ich nicht überbewerten: die beiden kontrollfreaks nach dem trip halt.
die adelle-topher verschwörung wäre zwar sehr cool, aber dass adelle das ganze mit einem ms. lonelyhearts-weekend verbindet? und topher ist doch zu autistisch für so ein investigatives schauspiel, da müssten sich schon noch arge abgründe in der charakterentwicklung auftun :)
Dass Alpha dahinter stecken könnte: klar. Da Dr. Saunders ja mittlerweile kaum anders kann als eine Doll zu sein, und sie miraculously den Incident überlebt hat, bleibt sie als von Alpha zurückgelassener und remote-programmierter Spitzel eine heiße Option.
Die Entlarvung ohne Echo ist glaub ich an sich wurscht, sie braucht ja nur einen kleinen Fehler von ihm. Ob sie den nach seinem Return findet oder nicht, ob es ihr reicht mit den Chip die Buchstaben "NSA" aus ihm rauszukitzeln, ist natürlich offen, aber möglich. Allein, dass er NSA ruft konnte schon die Erfüllung von Adelles Plänen sein. Long-term Strategie und so wäre ja auch denkbar, sie würde ihn in dem Fall vielleicht gar nicht sofort wegtun. Es war die Eskalation, dass er Echo angriff (mit Topher und Ivy als Zeugen), die sie zu der finalen Handlung womöglich drängte. Wenn es nur zwischen ihr und Dom geblieben wäre, hätte sie da womöglich noch ein langes Versteckspiel aufgezogen, für einen taktischen Vorteil.
Aber ja, hast eh recht, ist einfach zu abgründig und verrückt. :)
Ds einzige was mich an der Alpha (und an der Alpha/Saunders-Combo) Geschichte stört, ist dass Alpha wenig Grund hätte von "we" zu reden, wenn er denn Dom und die NSA meint. Meint er Dr. Saunders, so ist es fraglich, warum sie bald auffliegen wird. Oder ist das einfach nur geschickt getricktes forshadowing?
und topher stammelt immer wenn er was erklären soll, in der szene mit Boyd kommt die Funktion des Chip aber wohl rüber.
aber tja, wir sollen das alles ja auch noch nicht wissen und aufklären können, sonst wärs ja nicht so toll :)